Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag


Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Anwesende,

heute versammeln sich in vielen Städten und Gemeinden die Menschen, die in der Sorge um den Frieden in der Welt vereint sind.

Wir gedenken heute der Toten von Krieg und Gewalt. Wir gedenken der Millionen Menschen, die in zwei Weltkriegen ihr Leben auf grausame Weise verloren haben. Unser Erinnern gilt den Menschen, die Opfer von Terror, Gewalt und Unterdrückung wurden.

Das Gedenken an die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts und ihre zahllosen Opfer ist in Europa zur Tradition geworden, mehr noch, zu einer humanitären Verpflichtung.

Wir sehen, dass heute unsere Welt voller Krieg ist: Aufstände und Machtkämpfe werden mit Waffen ausgetragen. Einflussbereiche krimineller Drogenclans werden mit Kugeln ausgeweitet. Terror hat auch in den zurückliegenden 12 Monaten viele Menschen sterben lassen. Der Angriff der Hamas auf Israel ist ein beispielloser Akt der Barbarei. Und in der Ukraine herrscht immer noch Krieg. Russland versucht weiterhin, seinen Nachbarn mit Waffengewalt zu unterdrücken.

Wir können an diesem Volkstrauertag nicht anders: Wir müssen intensiv um den Frieden in Europa und der Welt beten und bitten.“

Kriegsgräbermale, Gedenksteine sind gesetzte Zeichen dafür, niemals nachzulassen, unbedingt für den Frieden einzutreten. An Ihnen beten wir für und erinnern an Verletzte, Tote, Gefallene, Ermordete, Gefolterte und an die vielen Verstorbenen ohne Namen.

Hier stehen wir nicht allein, sondern gemeinsam und geeint mit anderen, zusammen verbunden für den Frieden. Hier bitten wir für den Frieden in Europa und der Welt. Gemeinsam und kraftvoll.

Frieden zu schaffen und zu bewahren versteht sich als bleibende Aufgabe. Als ein dynamisch-kontinuierlicher Prozess Gewalt in der Welt zu verringern und Gerechtigkeit zwischen den Menschen zu mehren. Mittels Recht und Dialog.

Wer Frieden will muss sich andererseits mit dem Problem auseinandersetzen, dass es Friedensordnungen gibt, für die man hart kämpfen muss. Professor Herfried Münkler, Politikwissenschaftler zuletzt an der Humboldt Universität in Berlin schreibt, dass diese Friedensordnungen „notfalls auch mit militärischen Mitteln [durchzusetzen seien], weil allein der gute Wille einen notorischen Aggressor nicht dazu bringen kann, sich friedlich zu verhalten und den Frieden zwischen den Staaten zu akzeptieren. Der Zweite Weltkrieg, in dem Japan, Deutschland und Italien die aggressiven Mächte waren, ist dafür das wohl wichtigste und lehrreichste Beispiel. Es zeigt, dass Frieden nicht immer durch Nachgeben einer Seite gewahrt werden kann. Der Krieg in der Ukraine ist ein weiteres, leider aktuelles Beispiel. Münker beschreibt ein Friedensdilemma. In diesem Dilemma läuft die Seite, die von einem starken Friedenswillen beseelt ist und dem durch Abrüstung politischen Ausdruck verleiht, Gefahr, dass ihre Friedenspolitik von der anderen Seite als politische Schwäche und Bereitschaft zum Nachgeben unter dem Eindruck einer entsprechenden Drohkulisse wahrgenommen wird.

Dem Dilemma entgeht man nach Münker nur, wenn man sich als widerstandsfähiger präsentiert, als er es eigentlich sein will. Das sei das Problem, vor dem „der Westen“ seit 2014, seit der russischen Annexion der Krim und der von Moskau gedeckten Schaffung von Separatistengebieten im Donbas, stand. Münker weiter: „Die in zwischenmenschlichen Beziehungen häufig hilfreiche Formel, dass der Klügere nachgibt, kann sich im politischen Kontext als das genaue Gegenteil erweisen: dass der Klügere am Schluss der Dümmere ist, weil er das, was er verhindern wollte, durch sein Handeln erst herbeigeführt hat.“

Ich empfinde diesen Gedanken als hilfreich, wo doch aktuell in Bezug auf die Ukraine wieder Rufe laut werden, man möge in Friedens- und Waffenstillstandsverhandlungen eintreten. Auch das Argument des „Klügeren, der nachgibt“ taucht dabei auf. Vor dem Bild tausender sterbender Soldaten auf beiden Seiten, vor dem Bild sinnloser Stellungskämpfe in Bachmut oder Awdiwka überkommt einen in der Tat der drängende Wunsch, dem Leiden und Sterben sofort und um jeden Preis Einhalt zu gebieten.

Dem steht der Gedanke entgegen, dass dadurch keine nachhaltige, von allen Seiten akzeptierte und gelebte Friedensordnung herzustellen ist, weil ein Friedensdilemma entsteht.

Und so bleibt uns heute besonders der Soldaten in der Ukraine zu gedenken und um ein baldiges Ende des Leides zu bitten. In gleicher Weise bitten wir für die Menschen in Israel und dem Gazastreifen.

Im Nahen Osten stellt sich in besonderer Weise die Frage, wie Frieden überhaupt dauerhaft hergestellt werden kann. Wie ein guter Frieden dauerhaft bestehen kann. Dort, wo Fronten so tief in den Emotionen der Menschen verankert sind. Wo Hass so blank zutage tritt, dass unvorstellbare Grausamkeiten an Kindern, Frauen und Männern jeden Alters vollzogen werden.

Auch im deutsch- französischen Verhältnis stellte sich die Frage, wie die über Jahrhunderte geprägte, ja von den Nationen kultivierte Erbfeindschaft überwunden werden könnte.

Der erste Schritt war, dass die Deutschen die Verbrechen ihrer Geschichte anerkannt haben und ihre europäischen Nachbarn dazu bereit waren, Schritte der Verständigung und der Versöhnung zu gehen. Der wichtigste Schritt nur wenige Jahre nach Kriegsende war die Integration des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland in die Europäische Gemeinschaft, das bis heute erfolgreichste Friedensprojekt in Europa.

Kern dieses Friedensprojektes ist die deutsch-französische Versöhnung, deren Grundbaustein, der Élysée-Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre dieser deutsch- französische Aussöhnung.

Sie ist damit älter als jede Friedensperiode zwischen den Angehörigen dieser beiden Nationen in den letzten Jahrhunderten.

Der Begriff „Erbfeindschaft“ wirkt aus heutiger Sicht für wie ein kurioser Eintrag in einem Geschichtslexikon. Wenn wir uns fragen, was ein guter Frieden ist, können wir mit Blick auf die lange Epoche des Friedens und des offenen Austausches in unserem Land sagen: Ein guter Frieden ist ein solcher, der lange hält.

Doch es braucht mehr als die Abwesenheit von Krieg, um in Frieden zu leben. Die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit ist eine elementare Voraussetzung für ein friedliches Miteinander.

Für uns Deutsche bedeutet es, dass unser Totengedenken mit Bezug zu den Weltkriegen eine Mahnung ist. Die Toten – der vergangenen wie der aktuellen Kriege – zeigen uns, wie fragil der europäische Frieden ist und wie wichtig es ist, sich aktiv gemeinsam für den Frieden zu engagieren.

Vorurteile abzubauen und freiheitliche und menschenwürdige Lebensbedingungen dort zu erkämpfen, wo es sie nicht gibt, und sie dort zu verteidigen, wo sie angegriffen werden.

Ich danke Ihnen!